"Nicht der Hort der Träume und Märchen"

Annette von Droste-Hülshoff macht sich ein Bild von den Sauerländern

Wir sind Geschichten / Menschen & Heimat / Unterwegs sein / "Nicht der Hort der Träume und Märchen"





Annette von Droste-Hülshoff Foto gemeinfrei Maler Johann Joseph Sprick.jpg

Die bekannte westfälische Schriftstellerin, Dichterin und Komponistin Annette von Droste Hülshoff (+ 1797 auf Burg Hülshoff bei Münster, + 1848 auf Burg Meersburg / Bodensee) unternahm in den 1830er Jahren mehrere Reisen durch Westfalen und das Rheinland.  In ihren "Westphälischen Schilderungen aus einer westphälischen Feder" (später: "Bilder aus Westfalen") beschreibt sie - schwankend zwischen Lobpreis und scharfer Kritik - das Sauerland, Münsterland und Paderborner Land.

Über die Sauerländer berichtet von Droste Hülshoff sehr anschaulich, aber nicht gerade schmeichelhaft, was man damals auch verübelte. Nur ihr persönlich nicht, denn z​u ihren Lebzeiten erfuhr allerdings niemand, wer die "Westphälischen Schilderungen aus einer westphälischen Feder" verfasst hat.

" Der Sauerländer ist ungemein groß und wohlgebaut, vielleicht der größte Menschenschlag in Deutschland, aber von wenig geschmeidigen Formen; kolossale Körperkraft ist bei ihm gewöhnlicher als Behendigkeit anzutreffen. Seine Züge, obwohl etwas breit und verflacht, sind sehr angenehm, und bei vorherrschend lichtbraunem oder blondem Haare haben doch seine langbewimperten blauen Augen alle den Glanz und den dunklen Blick der schwarzen. Seine Physiognomie ist kühn und offen, sein Anstand ungezwungen, so daß man geneigt ist, ihn für ein argloseres Naturkind zu halten als irgendeinen seiner Mitwestfalen; dennoch ist nicht leicht ein Sauerländer ohne einen starken Zusatz von Schlauheit, Verschlossenheit und praktischer Verstandesschärfe, und selbst der sonst Beschränkteste unter ihnen wird gegen den gescheitesten Münsterländer fast immer praktisch im Vorteil stehen. – Er ist sehr entschlossen, stößt sich dann nicht an Kleinigkeiten und scheint eher zum Handel und gutem Fortkommen geboren, als dadurch und dazu herangebildet. Seine Neigungen sind heftig, aber wechselnd, und sowenig er sie jemandes Wunsch zuliebe aufgibt, so leicht entschließt er sich aus eigener Einsicht oder Grille hierzu. – Er ist ein rastloser und zumeist glücklicher Spekulant, vom reichen Fabrikherrn, der mit vieren fährt, bis zum abgerissenen Herumstreicher, der »Kirschen für Lumpen« ausbietet; und hier findet sich der einzige Adel Westfalens, der sich durch Eisenhämmer, Papiermühlen und Salzwerke dem Kaufmannsstande anschließt. [...]

Übrigens besitzt der Sauerländer manche anziehende Seite; er ist mutig, besonnen, von scharfem, aber kühlem Verstande; obwohl im allgemeinen berechnend, doch aus Ehrgefühl bedeutender Aufopferung fähig; und selbst der Geringste besitzt einen Anflug ritterlicher Galanterie und einen naiven Humor, der seine Unterhaltung äußerst angenehm für denjenigen macht, dessen Ohren nicht allzu zart sind. – Daß in einem Lande, wo drei Viertel der Bevölkerung, Mann, Weib und Kind, ihren Tag unter fremdem Dache (in den Fabrikstuben) zubringen oder auf Handelsfüßen das Land durchziehen, die häuslichen Verhältnisse sehr locker, gewissermaßen unbedeutend sind, begreift sich wohl; so wie aus dem Gesagten hervorgeht, daß dort nicht der Hort der Träume und Märchen, der charakteristischen Sitten und Gebräuche zu suchen ist; denn obwohl die Sage manche Kluft und unheimliche Höhle mit Berggeistern und den Gespenstern Ermordeter oder in den Irrgängen Verschmachteter bevölkert hat, so lacht doch jedes Kind darüber, und nur der minder beherzte oder phantasiereichere Reisende fährt zusammen, wenn ihm in dem schwarzen Schlunde etwa eine Eule entgegenwimmert oder ein kalter Tropfen von den Steinzapfen in seinen Nacken rieselt.

[...]einzelne Dörfer im tiefsten Gebirge sind noch strohdachig und verfallen genug, die meisten jedoch, nett wie alle Fabrikorte, erhalten allein durch die schwarze Schieferbekleidung und die mit Steinplatten beschwerten Dächer, die man hier der Rauhigkeit des Klimas entgegensetzen muß, einen schwachen Anstrich von Ländlichkeit, und nur die Kohlenbrenner in den Waldungen, die bleichen Hammerschmiede vor ihren Höllenfeuern und die an den Stollen mit Lederschurz und blitzendem Bleierz auf ihrem Kärrchen aus und ein fahrenden Bergknappen geben der Landschaft hier und dort eine passende Staffage.

Kompletter Text unter: Annette von Droste-Hülshoff: Bilder aus Westfalen, 1840 - Kapitel 1: http://gutenberg.spiegel.de/buch/bilder-aus-westfalen-2841/2